Öffentlichkeit

 

Das Werk des Bildhauers Oswald Hiery an Orten des Öffentlichen Raums

Oswald Hierys plastisches Werk im öffentlichen Raum zieht eine breite Spur durch das Saarland. Einunddreißig großformatige Werke aus verschiedenen Schaffensphasen lassen sich in fünf von insgesamt sechs saarländischen Landkreisen katalogisieren. Dazu zählen vor allem Orte besonderen öffentlichen Interesses, Schulen, Ämter, Kliniken, Hoch- und Fachhochschulen, Sportstätten, Gedenkstätten und weitere Orte des kommunalen und kirchlichen öffentlichen Raums. Der plastische Formenreichtum seines Werks über einen Zeitraum von vierundvierzig Jahren (1959-2003) bildet die verschiedenen künstlerischen Entwicklungsphasen verschiedener Zeiten an verschiedenen Orten in diesen Werken im öffentlichen Raum ab.

Dabei fällt dem Betrachter ein charakteristisches Merkmal seines Werks besonders ins Auge. Die Formensprache, die die Gestalt seiner Werke kompositorisch bildet, spiegelt als wesentliches Merkmal auch eine kritische Distanz zur Zeitgenossenschaft. Die Wahrnehmung einer zeitgenössischen Gegenwart, die der Bildhauer Oswald Hiery, weit über die Aufgaben eines Chronisten hinaus, durch diese Zeitgeistspur in seinem gesamten Werk der ästhetischen Erfahrung und Erkenntnis einschreibt, prägt nicht nur dessen ästhetische Autonomie, sondern auch seine gesellschaftliche und historische Legitimation. Denn die appellartig auf den kritischen Moment still gestellte Geste jedes einzelnen Kunstwerks objektiviert es in seinem historischen Gehalt. Deshalb lässt sich für sein Werk sagen: „Kunstwerke analysieren heißt so viel wie der in ihnen aufgespeicherten immanten Geschichte innezuwerden“ (Adorno). Diese kritische Distanz zur Zeitgenossenschaft ist nicht nur für den Werkcharakter, sondern zu Zeiten ästhetischer Unübersichtlichkeit auch für die Zeitgenossenschaft selbst konstitutiv. Denn seine Formensprache dokumentiert als ästhetisches Zeugnis seine Epoche. Sie weist die Merkmale einer visuellen Ansprache auf, sie hat Appellcharakter. Dieser Appellcharakter entsteht in der Wahrnehmung des Betrachters, er bleibt erinnerbar und als Element des Öffentlichen erfahrungsrelevant.

Die Formsprache des Bildhauers Oswald Hiery entwickelt sich im Laufe seiner gesamten Schaffensphase zu einer syntaktischen Einheit von einzelnen formalen Elementen. Diese Elemente bleiben über den Zeitverlauf nicht nur in intimer Korrespondenz verbunden, sondern sie wachsen in den Kanon einer gemeinsamen ästhetischen Syntax ein, analog einem naturhaften Evolutionsprozess. Dieses Einwachsen in den Formenkanon ist für den Beobachter an den plastischen Werken im öffentlichen Raum wahrnehmbar und durch einzelne Wachstumsstufen unterscheidbar. Aus diesem Grund lassen sich verschiedene Werkphasen in chronologischer Perspektive als Entwicklungsphasen beschreiben. Während des gesamten Schaffensprozesses bleibt aber auch die kritische Distanz zur Zeitgenossenschaft, Oswald Hierys Form gesellschaftlicher Teilhabe neben seiner künstlerischen Arbeit, nicht nur ein prägendes Motiv seiner bildnerischen Formensprache, sondern auch ein stiftendes Moment für die Themenwahl.

Diese beiden Elemente – die kontinuierliche Entwicklung einer übergreifenden Syntax für einen wachsenden Formenkanon und die kritische Themenwahl aus dem gegenwärtigen Fundus einer aufgeklärten Zeitgenossenschaft – verschmelzen im Verlaufe seiner künstlerischen Schaffensphase. Diese beiden Elemente seines künstlerischen Schaffens, die ‚naturhaft’ schöpfende formsprachliche Konzentrierung und die kritische Distanz zur Zeitgenossenschaft, sind für die Werkgestaltung und die Themenfindung konstitutiv.

Das künstlerische Werk des Bildhauers Oswald Hiery lässt sich als kritischer konstruktiver Realismus einer reflexiven Moderne kennzeichnen.

 

Das Kunstwerk im öffentlichen Raum

In einem öffentlichen Raum von einer Plastik oder Skulptur angesprochen zu werden, verdankt sich oft dem Zufall. Wenn aber der ästhetische Reiz des Kunstwerks die Wahrnehmung des Betrachters zu verlebendigen beginnt und die reale raumzeitliche Situation, das ästhetische Jetzt der Kunst, emotional und mental seine Wahrnehmung zu besetzen beginnt, wird aus dem Zufall ein Glücksfall. Der startet mit dem durch das Kunstwerk zur ‚Ausdrucksgestalt‘ gestimmten Raum (Ströker) und mündet, ganz allgemein gesprochen, in der Deutung dieses zur Ausdrucksgestalt gestimmten Raumes. In ihm versucht der Betrachter dessen Logiken zu deuten und zu verknüpfen. Dieser beschriebene Glücksfall hat heute Seltenheitswert, denn der öffentliche Raum als Verkehrsfläche einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist zwar frei zugänglich, aber der zeitgenössische genius loci ist auch besetzt von einer Alltagsästhetik, die ihren eigenen privatwirtschaftlichen Verwertungsinteressen folgt. Entsprechend ist auch der Bürger als Konsument ausgerichtet. Auf ihn als offenen Rezipienten zu setzen ist deshalb riskant.

Es gibt aber gute Gründe, dies dennoch zu tun. Denn die Abhängigkeit und das Zusammenspiel von Privatheit und Öffentlichkeit ist eine prinzipielle Lebensform der modernen Gesellschaft, nicht nur in allen Lebensbereichen, sondern auch im Privaten und im Öffentlichen selbst. Beide Pole gemeinsam bilden ein notwendiges Handlungsprinzip demokratisch verfasster Gesellschaften. In diesem Sinn sind die öffentlichen Räume unverzichtbar, denn sie bieten nicht nur als Orte des Publikums, sondern auch als gestaltbare Orte die Möglichkeit, die sozialen und kulturellen Widersprüche deutlich werden zu lassen, sie zu kommunizieren und sie zwischen diesen beiden Polen in Gemeinde, Stadt und Land demokratisch auszuhandeln. Dass dies auch konfliktreich und gefühlsbetont geschehen kann, zeigt auch und gerade das Kunstwerk im öffentlichen Raum – von der Installation bis zu fälligen Instandsetzung. Aber die Kunst ist auch ein Medium der Erkenntnis. Denn die Wahrnehmung der sinnlichen Präsenz eines Kunstwerks im öffentlichen Raum kann Prozesse auslösen, die die Routinen des Alltags selbst in Frage stellen und dadurch kommunizierbar machen. Die Kunst im öffentlichen Raum stellt an den Betrachter Herausforderungen, deren thematisches Spektrum schon bei der Konzeption jeder einzelnen Installation zu berücksichtigen ist. Es geht über das Verhältnis des Betrachters zur Kunst in seinen Privaträumen oder zur Kunst bei einem Besuch im Museum weit hinaus. Denn dieses ist von seinen individuellen Erwartungen, Wünschen und Einstellungen geprägt.

Der durch das Kunstwerk ästhetisch erzeugte öffentliche Raum jedoch steht in der Spannung zwischen den Polen privat und öffentlich:. Hier stehen Privatfrau und Privatmann als individuelle Betrachter an einem Ort im öffentlichem Raum, der von der umgebenden Architektur, den Institutionen und den angrenzenden Räumen geprägt ist, der atmosphärisch aber von der Gravitation des Kunstwerks gestimmt wird. Der so beschreibbare ästhetische Raum bildet das Dispositiv für jedermanns Sinnstiftung. Für ihn als Bürger kann der öffentliche Raum jetzt lebendig werden, er kann mit ihm und er mit andern Betrachtern zu sprechen beginnen – wenn der Glücksfall eingetreten ist. So trägt das Kunstwerk seinen Teil dazu bei, zur visuellen Umgebung emotional und mental Stellung zu beziehen oder sie zu definieren. Insofern gibt der Kulturwert des Kunstwerks im öffentlichen Raum, seine Installation und Pflege, seine Kenntnis und Akzeptanz auch Auskunft über die kulturelle und demokratische Verfasstheit regionaler Gesellschaften und Institutionen.