American Football

1978
10 m x 4 m, 6 Figuren, je ca. 65-75 cm hoch
Vollplastisches Wandrelief, Keramik, Metall, Spielfeld schwarz-weiß, Keramikfiguren weiß glasiert, Gesichter farbig
Kurt-Schumacher-Allee 129, 66740 Saarlouis-Steinrausch, Steinrauschhalle (Sporthalle), seitlicher Zugang

In einem Zeitraum von elf Jahren hat der Bildhauer Oswald Hiery drei Kunstwerke zum Thema Sport für Sportstätten im öffentlichen Raum geschaffen: American Football (1978) für eine Sporthalle, Spieler (1981) für einen Schulhof und Bobfahrer (1988) für den Eingangsbereich zu einer Schulsporthalle. Die drei Plastiken haben eine Gemeinsamkeit, sie stellen den gesellschaftlichen Konsens zum Thema Sport in Frage. Denn sie spiegeln alle, wenn auch auf unterschiedliche Weise, humorvoll kritisch eine kulturelle Verortung des Sports in unserer Gesellschaft wider. Beim Werk Spieler fordert der spielerische Charakter einer imaginären Sportart die Vorstellungskraft des Betrachters heraus. Bei der Plastik Bobfahrer überwiegt optisch ein technisches und atmosphärisch ein surreales Moment. Bei American Football wird der spielerische Charakter des Ereignisses eher zugunsten einer Betonung des Wettkampfcharakters unter körperlichen Schutzvorkehrungen für die Spieler zurückgestellt.

American football bildet ein Spielfeld mit Spielern ab. Das Spielfeldmaß entspricht im Längen- und Breitenverhältnis dem Original. Die schwarz eingefärbten metallenen Gitter und Stäbe am oberen und jeweils am seitlichen Rand, auf weißem Spielfeldgrund, bewirken den Eindruck von Toren, die es auf dem originalen Spielfeld nur als Torpfosten gibt. Sie rahmen im oberen Bereich das gesamte Spielfeld in kubistischer Verzerrung ein und unterstreichen die Dreidimensionalität des Geschehens.

Hier agieren in extremen Körperpositionen sechs vollplastisch ausgebildete Spieler1, aus beiden Längsrichtungen kommend, so dass zunächst der Eindruck eines Mannschaftsspiels entsteht. Durch die Überschneidungen ihrer Körper, ihrer Hände und Beine vertiefen sie optisch die Dreidimensionalität. Sie verleiht ihrem Agieren eine betonte Dynamik. Dies, obwohl ein Ball, der Grund für die Dynamik, im Spielfeld der Plastik an keiner Stelle sichtbar wird, bei keinem Spieler, weder am Boden noch in der Luft.

Die gesamte Fläche ist in 7 senkrechte weiße Tafeln unterteilt, die an die Felderteilung des Originals erinnern. Die untere rechte Ecke der rechten letzten Tafel ist bis zum unteren Drittel der Tafelhöhe diagonal als schwarzes Dreieck eingefärbt. Dadurch wird das Spielfeld noch einmal verdichtet und auf die Dynamik des Spielgeschehens zentriert. – Alle Spieler sind in der möglichen Wurfrichtung durch Blickachsen verbunden.

Lange bevor ‚american football’ als Sportart von der privaten und medialen Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, im Jahre 1978, schuf Oswald Hiery diese Plastik. Vor diesem Datum war sie in Deutschland nahezu unbekannt. Auch seither ist eine Begeisterung für diesen Sport in Deutschland nur bedingt feststellbar2. Es drängt sich deshalb die Frage auf, warum er diese bis dahin völlig unbekannte Sportart für die Darstellung in einer von verschiedenen Gruppen genutzten Sporthalle auswählte.

Ein Blick auf die einzelnen ikonografischen Elemente der Komposition und ihre Syntax ist für die Sinnstiftung aufschlussreich. Was zeigt die Plastik? Die filigranen Figurinen sind aus weiß glasierter Keramik in einzelnen Stücken gefertigt und dann zusammengefügt. Diese Weise der Fertigung, aber auch die Zerbrechlichkeit und Sprödigkeit des Materials selbst stehen in einem gewissen Gegensatz zur dargestellten Sportart, die gewaltige Kräfte freisetzt. Die metallenen Gitter und Stäbe für die Tore gibt es im originalen Spielfeld nicht. Auch der längliche abgeplattete football kommt als bedeutsames und unverzichtbares Werkzeug im ‚Spiel’ der Plastik nicht vor. Alle Spieler tragen Schutzkleidung. Alle haben überdimensioniert grosse Hände. Dazu passt ein ausdrucksstarker dramatischer Gesichtsausdruck, den die Gesichtsschutzmasken noch betonen.

Äußerlich sind die Spieler, etwa durch Trikotfarben, keiner Mannschaft zuzuordnen und deshalb kaum als gegnerische Mannschaften erkennbar – auch dann nicht, wenn die routinierte Alltagswahrnehmung eines Sports ihn als Mannschaftsereignis suggerieren will. Aber alle Mitspieler sind nicht als Gegner zu unterscheiden, sondern nur als Mitspieler auszumachen. Alle tragen die gleiche Farbe (weiß), gleiche Schutzkleidung, alle zeigen die gleiche expressive Gestik. Sie wirken auch nicht wie Gegner des Angriffs oder der Verteidigung, ihr Spielverhalten wirkt wie das einer einzigen Mannschaft.

Die dargestellte Spielszene wirkt nur bedingt realistisch. Der gesamte bildhafte Aufbau der Plastik bewirkt beim Betrachter einen Wahrnehmungseffekt, den man dramaturgisch und theatralisch nennen kann. Die gesamte Kompositionsstrategie lässt deshalb alle Spieler in diesem vollplastischen Relief als Anwesende besonderer Art erscheinen. Sie wirken in ihrem Verhalten angehalten, still gestellt, sie wirken als Darsteller eines tableau vivant. Auf ihm stellt eine Gruppe als Footballer kostümierter Mitwirkender eine Spielszene nach, zum filmstill eingefroren – sie, die Mitglieder eines Teams von Bühnendarstellern eines Footballspiels.

Aus dieser Perspektive erscheint das Einfügen der torähnlichen Staffage von Gittern und Stäben, das Fehlen des Spielballs, die Schutzkleidung, die übergroßen Hände und der dramatische Gesichtsausdruck als Elemente der Komposition eine symbolische Funktion zu erfüllen. Sie sind optische Marken für eine Entwicklung, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Plastik im Jahre 1978 kaum absehbar war. American football zeigt, zu ihrer Entstehungszeit vor dem Jahre 1978 weit vorausschauend, einen Aspekt des zukünftigen Mannschaftssports – symbolhaft den american football für viele andere Sportarten. Aus dieser Deutungsperspektive wird die Plastik zu einem vorausschauenden Symbol für die Zukunft der professionellen Sportarten, die zu denken geben kann und muss. Dies scheint der Grund für die Wahl dieser Sportart zu sein, vielleicht auch das, jedenfalls zur damaligen Zeit, ungewohnt martialische Erscheinungsbild und Spielverhalten der Spieler.

Rückblickend auf ihre öffentliche Aufstellung im Jahre 1978 wirkt die Plastik American football von Oswald Hiery für die heutige gesellschaftliche Situation des Sports visionär. Denn ein sportlicher Wettkampf, auch außerhalb des medialen und kommerzialisierten Massensports und seiner Folgeerscheinungen, wirkt heute kaum noch wie ein Spiel. Wir nehmen ihn wahr als Ausscheidungskampf für Auf- und Abstieg oder als Erlebnisveranstaltung, als Kommerz für Vereine, Sportbünde und Medien und auch als eine Belastung der Sportler, die ihre körperlichen Grenzen überschreitet – oft als all dies zusammen: Das foul lediglich eine Regelverletzung, doping eine Gewinnstrategie, die körperliche Grenze der Belastbarkeit ein Messergebnis, die Übertragungsrechte ein Geschäft für Investorenvereine. Diese Einschätzung betrifft Eltern, Kinder, Ämter und Vereine, vor allem aber den einzelnen Sportler selbst. Aus dieser Perspektive hat American football eine hohe Bedeutung nicht nur für den Sport, sondern für die kulturelle Verortung des Sports in einer Gesellschaft überhaupt. Sie ist ein Hinweis auf das Spiel als Kulturgut. So gesehen ist auch der Betrachter nicht Zuschauer, sondern Mitspieler. Mittendrin ist er, die Komposition lässt ihm keine Wahl, sie zieht ihn gedanklich ins Spiel.

Man könnte darüber nachdenken, ob aus den genannten Gründen für die Präsentation von American football ein für diese Symbolik repräsentativerer Aufstellungsort wünschenswert gewesen wäre. Ein Ort, an dem die Plastik ihre subtilen Subtexte entfalten könnte, ein Ort, an dem nicht Sport betrieben, sondern über dessen gesellschaftliche Relevanz nachgedacht werden kann; als ideeller Ort etwa das Ministerium für Inneres, Bauen und Sport, Abteilung Sport und Ehrenamtskultur.

  1. Im american football hat jede der gegnerischen Mannschaften 11 Spieler
  2. Die Sportart ‚american football’ war unter Ausschluss der Öffentlichkeit beinahe ausschließlich ein Sport der in Deutschland stationierten amerikanischen Soldaten, da er innerhalb von deren Kasernenbereich ausgeübt wurde. Der erste deutsche Football-Verein wurde im Jahre 1977, im Planungsjahr der Plastik American football, in Frankfurt am Main gegründet. Das erste Treffen des dann folgenden regelmäßigen Spielbetriebs fand nach der Gründung des American Football Bundes Deutschland im Jahre 1979 vor 400 Besuchern statt. Vier Jahre später folgte 1981 das erste Spiel. Es fand, wie auch die folgenden Spiele der deutschen Nationalmannschaft, bei geringen Zuschauerzahlen statt. Ab dem Jahre 1983 erreichte der deutsche Footballsport „seinen ersten Höhepunkt, was hauptsächlich an der Umorientierung vom reinen Sport zum ‚Sportevent’ mit Rahmenprogramm wie Musik und Verpflegung lag“. Gemessen an den Zuschauerzahlen erreichte der deutsche Football seinen Höhepunkt erst zwischen den Jahren 1995 und 2000; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/American_Football_in_Deutschland#2008_bis_heute_%E2%80%93_Nach_der_NFL_Europa (abgerufen 29.04.2018)