Bobfahrer

1988
3,5m x 3m x 2,5m
Aluminium und Stahl geschweißt
Max-Planck-Gymnasium, Pavillonstr. 24, 66740 Saarlouis

Die Plastik Bobfahrer aus dem Jahre 1988 ist die dritte und letzte zum Thema Sport, die der Bildhauer Oswald Hiery in einem Zeitraum von elf Jahren zu diesem Thema für Sportstätten im öffentlichen Raum geschaffen hat. Die Bobfahrer beobachten den Luftraum über dem äußeren Eingangsbereich zu einer Schulsporthalle in Saarlouis1.

Zu diesem thematischen Werkkomplex zählt auch American Football (1978) für eine Sporthalle. Hier wird der Wettkampfcharakter dieser Sportart betont, der körperliche Schutzvorkehrungen für die Spieler erfordert. Damit wird der spielerische Charakter des teamsportlichen Ereignisses eher zurückgestellt. Beim Werk Spieler (1982) ist es umgekehrt. Hier fordert gerade der spielerische Charakter einer imaginären Sportart die Vorstellungskraft des Betrachters heraus. – Alle drei Plastiken haben aber eine Gemeinsamkeit: Sie alle beziehen sich in besonderer Weise auf den Sport oder eine Sportart, immer mit den gestischen Mitteln der Bildhauerkunst. Sie nehmen auf ganz unterschiedliche Weise zur kulturellen Verortung des Sports in unserer Gesellschaft Stellung. Sie tun dies beispielhaft, bildhaft oder konkret, humorvoll, kritisch oder engagiert, oft aus mehreren Perspektiven gleichzeitig.

Auf den ersten Blick leitet – zumindest atmosphärisch – der technische und zugleich surreale Charakter der Bobfahrer die Wahrnehmung des Betrachters. Man schaut auf sie – zunächst gegen die Schwerkraft der eigenen Erwartungen und Gefühle. Denn in kaum einer anderen Sportart sind Mannschaft und Gerät den physikalischen Gesetzen der Gravitation so verpflichtet wie beim Bobfahren. Nirgendwo sonst ist der Sog nach unten so spielentscheidend. Deshalb wirken auch gerade hier bei der Imagination von Bob und Eisbahn die physikalischen Kräfte so anschaulich – und gegen jede Erfahrung. Was eigentlich und erfahrungsgemäß selbstverständlich ist, vermisst man beim Anblick der Plastik. Denn hier, beim schräg aufwärts gestellten Bob, scheint die Schwerkraft auf den Kopf gestellt, sie wirkt wie gegen den Strich gebürstet. Das gilt auch für die Mannschaft, denn auch sie verhält sich in diesem Sinne nicht gravitationskonform, nicht zielgerichtet. Sie hat ihre behelmten Gesichter nicht abwärts, sondern die Sichtfenster waagerecht gen Himmel aufwärts gerichtet. Acht Augen unter den verschließbaren Visieren der Schutzhelme könnten ihn sehen. Die Richtung aufwärts jedenfalls, in die der Bob imaginär Fahrt aufnimmt, ist für den Betrachter ein Überraschungsmoment.

Die physikalischen Gesetze scheinen außer Kraft gesetzt. Nicht die Schwerkraft bestimmt die Richtung von Bob und Mannschaft. Sondern? An einer Schule, die dem Physiker Max Planck gewidmet wurde, sind die Bobfahrer geeignet, die Nichtgeltung eines physikalischen Gesetzes und damit seine These vom quantenmechanischen Indeterminismus, wie er sie dargestellt hat, alltagstauglich zu paraphrasieren und anschaulich darzustellen. Denn der Bildhauer Oswald Hiery setzt hier am Beispiel eines Sportlerteams visuell die Geltung der Physik außer Kraft. Er tut dies kompositorisch beeindruckend anschaulich und mit künstlerisch minimalistischen Mitteln, ausgeführt in der Form eines vollplastischen Comics. Diese Illustration der Unbestimmtheit eines physikalischen Kalküls, vorgestellt in der sinnlich wahrnehmbaren Form des Auch-anders-Möglichen, ist eher hintergründig als witzig.

Denn das Kunstwerk Bobfahrer wirkt als Allegorie. Dazu muss man den Begriff der Bobmannschaft durch den der Schulklasse ersetzen. Oswald Hiery stellt diesen Bezug für dieses Werk selbst her: „Schule, Schüler, Gemeinschaft, sie sitzen in einem Boot … Wenn du davor stehst, ist natürlich der erste Gedanke, gut, die sitzen da alle in einem Boot, in dem Ding da, dem Bob. Aber erst, wenn du dich damit beschäftigst – und das ist bei jedem Kunstobjekt so – dann kommt das dir, weshalb so und warum“. Auch zum ideellen Schöpfungsakt, das dieses Werk begleitet hat, berichtet er: „Es war für die Turnhalle gedacht. Den Sport. Ich habe mich also an den Sport gehalten. Aber was für einen Sport setze ich dahin? Ich bin davor gestanden. Vor der Turnhalle. Die Schräge vom Dach der Turnhalle habe ich weitergeführt nach unten in eine Schräge. Und hab mir überlegt, welche Sportart hat mit einer Schräge zu tun? Der Schlitten. Und dann: Sport, das ist auch Gemeinschaft, vieles ist heute Gemeinschaftssport. Und nach dem vorhandenen Budget habe ich dann vier Figuren gemacht. Einen Viererbob. Zuerst stand der Bob nach unten. Klar. Ein Bob fährt immer nach unten. Dann habe ich ihn aber herumgedreht. Sport geht doch immer nach Medaillen, nach Leistung. Und die geht nach oben. Leistung geht nicht nach unten, die geht nach oben“2.

Wenn diese ‚Mannschaft’, die allegorische wie die, die sie darstellt, nicht den klassischen Regeln der Schwerkraft folgt, welchen dann? Außer den sportlichen, dem schulischen Lebensalter entsprechend, natürlich vor allem den eigenen! Denen des Experiments, denen des ‚mal sehen obs geht’, dem altersgerechten Lernen durch Versuch. Erst bei der Übersetzung von ‚Bobmannschaft’ in ‚Schulklasse’ wird die Allegorie metaphorisch. Dann gerät sie auf die Spur des Planckschen Indeterminismus zurück: Denn auch die Zukunft Heranwachsender ist nicht eindeutig determiniert, weder aus Schüler- noch aus Lehrerperspektive. Auch dann nicht, wenn die Schule, ihrem Bildungsauftrag entsprechend, eine Basis und ein Grundwissen für allgemeingültige Steuerungsregeln zu vermitteln sucht. Die Zukunft und ein Bild von ihr entzieht sich noch weitgehend den Vorstellungswelten und Erfahrungen der ‚Mannschaft’. Auch später und darüber hinaus bleibt sie offen, wie der Horizont, in den der Bob sich anschickt abzuheben, über die Institution Schule hinaus.

Der Mannschaftsbob ist für diesen metaphorischen Zusammenhang im äußeren Eingangsbereich zur Schulsporthalle nicht nur aus den beschriebenen Gründen hervorragend platziert, sondern auch wegen der architektonisch-atmosphärischen Erfolgsaussichten des sportlichen Wettkampfs. Denn ganz selbstverständlich nimmt er zum Starten von seiner abgeschrägten Rampe das symbolische Angebot an, über die Dachschräge der Schulsporthalle zu starten. So könnten der Start und das Überfliegen der Schule gelingen3.

  1. Auf der Webseite der Schule gibt es keinen Hinweis auf diese Plastik oder auf den Künstler.
  2. In: Hiery, Oswald; Gulden, Alfred, Die Geburt des Hephaistos. Oswald Hiery im Gespräch mit Alfred Gulden, Katalog zur Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus, Saarbrücken, 4.12.2008 bis 4.1.2009, Saarbrücken 2008, 14.
  3. Vgl. dazu Oranna Dimmig, Oswald Hiery, Bobfahrer: „Auf der steil abgeschrägten Fläche eines Stahlblocks befindet sich ein mit der Mannschaft besetzter Viererbob, der in Umkehrung der natürlichen Gegebenheiten in Fahrtrichtung nach oben gekehrt ist und himmelwärts strebt. Dabei entspricht der Winkel der ‚Bobbahn’ dem Neigungswinkel des Turnhallendaches“. http://institut-aktuelle-kunst.de/kunstlexikon/saarlouis-hiery-plastik-1726 (abgerufen 7.9.2018).