Handläufe

1969
je 4,8 m x 0,92 m x 0,20 m
Vier Handläufe in Aluminiumguss
Universitätsklinikum des Saarlandes, Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes: Anatomie, Zellbiologie und Entwicklungsbiologie (Gebäude 61), Außentreppen, Kirrberger Str. 100, 66424 Homburg,

Die vier Handläufe aus dem Jahre 1969 sind neben dem Brammenhort aus dem gleichen Jahr eines der wenigen künstlerischen Werke Oswald Hierys, die man als Kunst am Bau in dem unmittelbaren Sinn bezeichnen könnte, dass sie neben der ästhetischen auch eine technische Funktion für die Nutzung des Gebäudes selbst übernehmen, dem sie zugeordnet sind. Der Zugang zum Institut für Anatomie, Zellbiologie und Entwicklungsbiologie der Medizinischen Fakultät der Universität des Saarlandes in Homburg führt über vier Außentreppen. Auf der Mittelachse der Treppen zu den verschiedenen Eingangsbereichen geben die wuchtigen Handläufe sicheren Halt und Orientierung, auch bei Dunkelheit.

Zur technischen Ausführung der ästhetischen Gestalt der Handläufe gibt Oswald Hiery selbst Auskunft: „An jedem der vier Treppenaufgänge zu Gebäude 61 befindet sich in der Mitte ein Handlauf. Der Handlauf gliedert sich in vier Abschnitte, die den Treppenaufgang beleuchten. Die voluminös gestalteten, abgerundeten Stücke des Handlaufs besitzen ein Ausmaß von 0,30 m bis 2,00 m und werden jeweils neu zusammengefügt, so dass jeder Handlauf einen einmaligen Aufbau erhält. Somit stehen auch die tropfenförmigen Streben des Geländers in unregelmäßigen Abständen“1.

Auch die ästhetische Gestalt der Handläufe hat einen engen symbolischen Bezug zum Institut für Anatomie, Zellbiologie und Entwicklungsbiologie. Denn die Handläufe sind aus mehreren Elementteilen zu unterschiedlichen ‚Körpern’ zusammengesetzt, die besonders, aber nicht nur, an ihren Gelenkstellen an die menschliche Anatomie erinnern, an zelluläre und biologische Formen, an Gewachsenes. „Wie ein von Wind und Wetter geformtes Relikt eines urzeitlichen Skeletts muten die vier Handläufe Oswald Hierys an. In Anbetracht ihrer Entstehungszeit können sie den Betrachter jedoch auch an kunstästhetische Ideen des Space-Age erinnern. Sie sind in der Mittelachse vier äußerer Treppenaufgänge positioniert, deren Erklimmung den Eingang des Gebäudes der Anatomie erschließt. Die Handläufe sind in vier unterschiedlich lange Segmente unterteilt, die durch fünf Stützen verbunden und getragen werden. Die Kombination dieser zwischen 0,3 m und 2 m langen Stücke variiert an allen Treppenaufgängen. Dadurch erzielt Hiery eine individuelle und organische Rhythmisierung, die durch die horizontale Gleichförmigkeit der Treppen noch betont wird. Die folglich in unregelmäßigen Abständen auf den Stufen errichteten Stützen nehmen zunächst den kreisförmigen Charakter der zylindrischen Handläufe auf, ehe sie sich in einem fließenden Übergang stark nach unten hin verjüngen und schließlich in einen breiteren, kegelförmigen Fuß enden. Diese wulstigen und sanft geschwungenen Volumen erinnern in ihrer plastischen Ausformung unweigerlich an Knochen. Hierys Handläufe sind also auf vielfache Weise Metaphern für die Anatomie und bereiten somit auf den Zweck des Gebäudes vor. Die biomorph-expressiven Formen und Konturen lassen den Betrachter nämlich nicht nur an Knochen beziehungsweise skelettähnliche Strukturen denken, sondern erwecken durch die strukturelle Segmentierung auch den Eindruck von Gelenken. Die individuellen Kombinationen der unterschiedlich langen Handläufe kommunizieren darüber hinaus einen organischen, natürlich gewachsenen Aufbau. Schließlich können die Handlauf-Segmente gar als eine Art abstrahierte Wirbelsäule verstanden werden“2.

Auge und Hand des Gastes können beim Betreten des Institutsgebäudes für Anatomie, Zellbiologie und Entwicklungsbiologie erahnen, was sie erwartet.

In den neun Jahren zwischen 1968 und 1977 schuf Oswald Hiery vier Werke, die man der Kategorie ‚Kunst am Bau’ zuordnen kann. Sie haben technische (Handläufe, Brammenhort) und ästhetisch-dekorative Funktionen. Alle Werke sind aus unterschiedlichen Materialien gearbeitet (Eichenholz Aluminium, Holz, verschiedene Metalle) und in auffallend hoher handwerklicher Qualität hergestellt. Das gilt auch für die vier Handläufe, denn ihre einzelnen Elemente sind in Originalgröße zunächst in Holz ausgeführt und dann in Aluminium gegossen worden. Zu diesem Werktypus nicht-figurativer Gestalt gehören: Wandrelief (1968) in Wadern, Brammenhort (1969) in Saarbrücken, Trennwand (1977) in Saarbrücken.

  1. Oswald Hiery, zitiert nach: Kunst im öffentlichen Raum Saarland, Band 2: Universität des Saarlandes, 1945-1999. Campus Saarbrücken, Campus Homburg, Universitätskliniken des Saarlandes, Aufsätze und Dokumentation, hg. von Jo Enzweiler, Institut für aktuelle Kunst im Saarland an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, Saarbrücken 1999, 149
  2. Marc Bonner, in: Pütz, Jörg; Keazor, Henry (Hg.), unter Mitarbeit von Ursula Czymerska, Franziska Lampe, Judith Rodner, Kunst auf dem Campus, Merzig 2012, 56