Quadratur des Kreises

2002, öffentlich aufgestellt 15.05.2002
400 cm x 160 cm x 120 cm
Figur Aluminiumguss (Strassacker) in Stahlkonstruktion, Sockel Beton
Waldhausweg 14, 66123 Saarbrücken, Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Saar) – University of Applied Sciences, Campus Rotenbühl, Innenhof

Zwei Saarbrücker Hochschulen haben eine außergewöhnliche Gemeinsamkeit. In einem zeitlichen Abstand von neun Jahren und in einem räumlichen von 2600 Metern beherbergen sie Plastiken des Bildhauers Oswald Hiery, die sich in ihrer ikonischen Struktur sehr ähnlich sind: Die Quadratur des Kreises aus dem Jahre 2001 und Automedon von 1993 zeigen beide eine eindringliche Bildsprache apellatorischer Gestalt. Als unvermittelt ins Auge springende ikonografische Gemeinsamkeit sieht man bei beiden eine männliche Person mit ausgestreckten Armen. Aber dies ist nicht ihre einzige Verwandtschaft.

Die Plastik Quadratur des Kreises steht im Innenhof des Hochschulcampus der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Die HTW Saar ist eine Institution zur Ausbildung von Studenten in angewandten Wissenschaften. Sie vermittelt1 eine Vielzahl von Kenntnissen zur Lösung von praktischen Problemen der gesellschaftlichen Infrastruktur moderner Gesellschaften. Die Lehre hat deshalb einen hohen praktischen Wert für die Problemlösungskapazitäten dieser Gesellschaften. Der Verortung einer künstlerischen Plastik auf dem Campus der Hochschule kommt aus diesem Grunde mit Bezug zur Praxis eine besondere Bedeutung zu. Ihre Kennzeichnung als symbolische Differenz von Theorie und Praxis würde das Problem nicht ausreichend bezeichnen. Denn dazu müsste man erst einmal akzeptieren, dass es ein solches unlösbares Problem überhaupt gibt und geben darf, dass es also praktische Probleme gibt, die theoretisch unlösbar sind, dennoch aber gelöst werden müssen. Und dass die Kunst durch Hinweis auf ein ästhetisches Symbol dabei helfen kann, das Problem zu veranschaulichen, es der studentischen Erfahrung bewusst zu machen und für das Berufsleben präsent zu halten. Diese Hilfe könnte das Kunstwerk leisten. Wie?

Der Ausdruck ‚Quadratur des Kreises’ gilt als umgangssprachliche Metapher zur Beschreibung einer Problemlösung, die nicht möglich ist. Auf diese einverständige Formel, auf das Zeigen dieser Unmöglichkeit, ist die Ikonografie der Plastik ausgerichtet. Sie zeigt in der Zuordnung ihrer Elemente durch teils auch widersprüchliche Zeichen die Unmöglichkeit der Problemlösung. Sie fordert aber gleichzeitig dazu auf, die Unmöglichkeit der Problemlösung zu akzeptieren, statt handlungsunfähig zu verharren. Sie zeigt gleichzeitig auch die Möglichkeit einer praxisorientierten Regulierung des Problems. Beide Zeigeformen sind in die minimalistische Ikonografie der Plastik gegossen, mit hoher Ausdruckskraft und evidenter Anschaulichkeit. Dabei zeigt die Plastik das metaphorische Problem der ‚Quadratur des Kreises’ alltagstauglich in realistisch dreidimensionaler Ausführung und in personalisierter Form. Sie zeigt es zudem als Würfel und Kugel und nicht als zweidimensionale mathematische Problemformel von Quadrat und Kreis. Damit verlagert sie das Problem auch optisch aus dem wissenschaftlichen in einen praktischen Lebenszusammenhang. Durch die Vergoldung erhalten Würfel und Kugel zusätzliches Gewicht. So wird die radelnde männliche Figur mit den ausgestreckten Armen, mit Würfel und Kugel, zur personalen Allegorie für dieses Problemverständnis.

Diese allegorische Figur ist, mit allen ihren Accessoires, in einen Gitterkäfig eingeschlossen. Der Käfig hat eine um zwei Gitterstäbe vorgeschobene Rückwand, die die Figur nach vorn drückt, wo der Käfig offen ist und wohin die abschüssige Ebene führt. Auf der versucht sie, Gleichgewicht zu halten. Aber sie balanciert auf den Mittelachsen von zwei unverbundenen Einzelrädern. Diese sind deutlich sichtbar so montiert, dass Gleichgewicht zu halten oder auch sich fortzubewegen unmöglich ist. Wie Würfel und Kugel erfahren auch die Reifen durch die Vergoldung eine Betonung – Symbol für die zunehmende Beschleunigung aller Lebensäußerungen und für den zunehmenden Bedarf an Problemlösungskapazität in unserer Zeit?

Nichts innerhalb des Gitterkäfigs ist im Gleichgewicht, weder technisch noch metaphorisch. Aber die Ebene, auf der sich die Figur bewegt, ist nach vorne geneigt. Deshalb hält die Figur offensichtlich die Balance. Das wird möglich, weil hier symbolisch der Ausweg für eine Regulierung der Problemlösung gezeigt wird. Jetzt wird ‚Quadratur des Kreises’ nicht als Metapher für die technische Unmöglichkeit der Problemlösung durch eine fachliche Praxis verstanden, sondern als politische Lösung zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen oder Bedürfnisse. Die technische Lösung wird verlagert und findet ihr Äquivalent durch eine Regulierung im politischen Verständnis.

Die Neigung der Ebene, auf dem der Gitterkäfig steht und die Form des Sockels weisen interpretatorisch den Weg. Er hat die Form eines Viadukts2, er ist eine Wegführung, eine Brücke, die über das Problem führt, sie zeigt die zu beschreitende Richtung und den möglichen Erfolg. Denn die Figur hat den Scheitelpunkt – im symbolischen Sinne des Problems – auf der Brücke bereits überschritten, sie geht abwärts, sie verlässt den Käfig der Unlösbarkeit.

„Die Skulptur ist für die Hochschule eine gelungene künstlerische Bereicherung. Die Skulptur von Oswald Hiery greift ein aktuelles Thema auf über die Möglichkeiten und Grenzen von Kunst und Wissenschaft“, so Kultusminister Schreier. „Seine zahlreichen Kunstwerke im öffentlichen Raum sind Ausdruck einer engagierten Haltung und regen zum kritischen Nachdenken an.“ Wie sieht „die gelungene Auseinandersetzung mit der Hochschule aus, die in der Skulptur einen einzigartigen Ausdruck findet“, wie Rektor Cornetz betont?3

Die Antwort gibt der Künstler selbst: “Das Objekt ist für eine Schule. Und da geht man doch hin, um zu lernen, dass es für alles eine Lösung gibt. Aber man muss sich doch auch vor Augen halten, dass es Dinge gibt, die unlösbar sind. Aber die werden selten angesprochen in der Schule. Dass man etwas auch nicht bewältigt. Das wird nicht ausgesprochen. Das muss man den Schülern mal vorführen, dass sie eingesperrt sind in etwas. Man muss den Schülern sagen, irgendwann ist etwas unmöglich zu lösen. … Es gibt ja Brücken. Die sollen sie sich dann bauen. … Es gibt immer Brücken, über die du drüber kannst. … Du kannst gewinnen, auch ohne, dass du etwas löst. Dass etwas ungelöst bleibt.“ Kugel und Würfel seien ‚plastische’ Symbole für das unlösbare Problem der Quadratur des Kreises: „Es geht nicht auf. Es geht nicht auf“4.

Gibt es unlösbare Probleme? Wie löst man ein unlösbares Problem, gibt es ein beispielhaftes Modell oder modellhafte Versuche dazu? Wie verhält man sich zu einem unlösbaren Problem, bei dessen Anblick die Haare zu Berge stehen?5 Einen sanften Hinweis auf einschlägige und beispielhafte Parallelerfahrungen für die Lösung unlösbarer Probleme gibt der Künstler möglicherweise mit der Kostümgestalt der balancierenden Figur6. Kostümgeschichtlich einordnen lässt sich die knöpfbare Jacke, die die Figur trägt, als frac à l’anglaise aus dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, hier in ihrer praktischen Alltagsform. Dazu sagt das Journal des Luxus und der Moden im Jahre 1786: „Den Frack haben wir den Engländern zu danken. Er ist vermöge seiner Simplizität, knappen Ärmel, Kragen, vielen Taschen, bequemen Zuköpfens und Anschließend an den Leib, der schicklichste und bequemste Rock zum männlichen Alltagsleben, Geschäften und Reisen“7.

Diese zeit- und kostümgeschichtliche Zuordnung8 mag darauf hinweisen, dass die ‚Quadratur des Kreises’ nicht nur für die angewandte Wissenschaft, sondern auch für die Verwaltung und das Management ein immer schon mitlaufendes Problem ist – ganz analog zur Plastik Automedon aus dem Jahre 1993. Es stellt deshalb den immer gegenwärtigen Appell dar, sich Problemen zu stellen und sie zu regulieren, auch dann, wenn sie unlösbar scheinen. Aus dieser Sicht ist es wünschenswert, die Befassung mit der Quadratur des Kreises zu einem curricularen Modul des Lehrplans in allen fachspezifischen Studiengängen zu entwickeln9.

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  1. In 26 Master- und 19 Bachelor-Studiengängen, berufsbegleitend, international und weiterbildend, von Architektur bis Wirtschaftsingenieurwesen ist eine große Zahl von gesellschaftlich bedeutenden Fächern beteiligt.
  2. von lateinisch via Weg und ductus Führung, Richtung
  3. Alle Zitate aus der gemeinsamen Pressemitteilung vom 15.5.2002 des Ministeriums für Bildung, Kultur und Wissenschaft und der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (https://www.htwsaar.de/hochschule/organisation/hochschulleitung/Hochschulkommunikation/pressemitteilungen/Archiv/2002/Hiery.htm, abgerufen 10.04.2018.)
  4. Zitate aus: Die Geburt des Hephaistos. Oswald Hiery im Gespräch mit Alfred Gulden, Ausstellung vom 4.12.2008-4.1.2009, Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken 2008,18f
  5. Die Frisur der Figur erscheint uns heute nicht auffällig, es könnten dreadlocks sein, männliche oder weibliche. Vom Künstler war ursprünglich eine androgyne Figur beabsichtigt, “weder Mann noch Frau, sondern beides”, so dass sich sowohl die Studentinnen wie die Studenten darin erkennen können. Vgl. Geburt des Hephaistos, a.a.O., 18.
  6. Hiery nennt sie „Gewand eines griechischen Jünglings“ „Gewand der Siegesgöttin auf der Berliner Siegessäule“. Vom Kostüm der Viktoria der Berliner Siegessäule aus dem Jahre 1873 ist bei der Figur der Plastik nur der untere Schwung der Frackschöße geblieben. Auch der Hinweis auf das klassische Gewand eines griechischen Jünglings (vgl. Geburt des Hephaistos, a.a.O., 18) ist nicht erhellend, weder kostümgeschichtlich, noch optisch, noch zeitlich, denn zwischen beiden Kostümen liegen etwa 2500 Jahre. Das gilt auch für die Bügelfalten in seinen Hosen, die erst seit etwa dem Jahre 1900 gebräuchlich sind. Vg. Thiel, Erika, Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1973, 554
  7. Zitiert nach: Thiel, Erika, Geschichte des Kostüms. Die europäische Mode von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1973, 437f
  8. Im Jahre 1776 erschien Adam Smiths The Wealth of Nations. Seine Lehre ist ein Versuch der Problemlösung, wie auch die Französische Revolution des Jahres 1789. Beide veränderten das europäische Gesellschaftsgefüge nachhaltig.
  9. Auf der Webseite der HTW Saarbrücken findet sich zur Quadratur des Kreises und zum Künstler Oswald Hiery kein verwertbares Rechercheergebnis. Auch Hinweise zu Werkdaten, Beschreibungen und Dokumentarisches fehlen.