Stele

1987
ca. 4,5 m x 1 m x 1 m; Betonsockel: 90 cm x 130 cm x 130 cm
Stahl, geschweißt, Figurinen im Oberteil vergoldet, gedoppelter Betonsockel
Nikolaus-Groß-Schule, Dillinger Str. 67, 66822 Lebach

Die bischöfliche Nikolaus-Groß-Ganztagsschule ist eine Einrichtung des Bistums Trier. Hier, auf einem Seitenstreifen an einer Straße auf dem großflächigen Schulgelände, zwischen parkenden Autos, stemmt sich die doppelt aufgesockelte Stele kraftvoll gegen Verkehr, Architektur und Flora. Sie geht, von unten vierkantig aufsteigend, von der Obeliskenform in eine seitlich gekrümmte Form über, die an einen übergroßen und voluminösen Bischofs- oder Hirtenstab erinnert. Dieser wuchtige, kantige gekrümmte Bischofsstab gewinnt allein durch die gewandelte Obeliskenform den Status eines eigenständigen minimalistischen Kunstwerks mit hoher symbolischer Bedeutung. Denn im alten Ägypten galt der Obelisk als Symbol für die Strahlen des Sonnengottes und für die Verbindung von Menschen- und Götterwelt. Schon deshalb ist die Darstellung des Obelisken als gekrümmte Stele für sich allein als ein situations- und ortsunabhängiges Zeichen zu verstehen. Sie symbolisiert den gesamten Assoziationsreichtum, der mit ihr verbunden ist.

Das vordere spitz zulaufende Ende des Bischofsstabes ist jedoch sanft nach oben gewendet, es deutet einen ‚Haken’ an. Mittig auf diesem konkaven Scheitelsteg in großer Höhe – gebremst von einer behausten gegenläufigen Schnecke und angetrieben von einem hinten nachrollenden Rad – bewegen sich neun vergoldete Figurinen im Schattenriss hintereinander abwärts bis vor die überhängende Schnecke am vorderen Rand. Gestisch erwecken sie den Eindruck einer fröhlichen Gesellschaft. Erst dieser Schattenriss der Schülergruppe bezieht die Stele auf den Standort Schule.

Im Kontext des bischöflichen und schulischen Ambientes erzeugt die Stele eine metaphorische Atmosphäre besonderer Art. Denn Oswald Hiery hat das bischöfliche Gymnasium durch einen stilisierten Bischofsstab, vulgo Krümme, symbolisiert, im übertragenen Sinn auch Stab des ‚Seelenhirten’ genannt. Dem im Original mannshohen Krummstab werden durch seinen Zierrat im oberen Teil, eben der Krümme, symbolische Eigenschaften zugeschrieben. Ihr Schmuck zeigt Rang, Ansehen und Amtswürde, der Krummstab ist das Zeichen bischöflicher Macht. „Der Führer des Stabes ist der Mächtige, der Besitzer der Macht, wer den Stab hat, hat die Gewalt“, er ist das Zeichen der bischöflichen Machtfülle. Das namengebende Oberteil, die Krümme, ist aus gutem Grunde eine volkstümliche Bezeichnung für den Bischofsstab, denn sie ist der Teil, der sich auf das Volk selbst bezieht. Sie mahnt den Bischof symbolisch an seine Amtspflicht, die Gläubigen an sich zu binden, die Irrenden zu sammeln und zurückzugewinnen1.

Die Verpflichtung des Bischofs, Gläubige und Abtrünnige ‚an den Haken’ zu nehmen, wird bei der Gestaltung der Stele im schulischen Kontext für Oswald Hiery zu einem scharfsinnigen Aperçu mit anschaulichem Erkenntnisgewinn. Denn die sparsame Ikonografie, die goldenen Figurinen und die konkave Krümmung der Stele selbst, verweisen auf eine wiederkehrende komplexe Erfahrung im Leben jedes Einzelnen, die man Erziehung nennen könnte. Denn ihr Sinn und Erfolg bewegt sich, gerade während der Schulzeit, an einem nur schwer festzuschreibenden Ort zwischen zwei Eckpunkten: Nimmt der Bischof die Gemeinde, seine Schäfchen und Lämmer, an den Haken2 – oder tanzen die lustigen Figurinen, golden verkleidet, als fröhliche Schülergruppe3 – auf der Nase der Krümme bis zum Haken – um das goldene Kalb? Die Stele antwortet nicht auf diese Frage, aber sie zeigt die Eckpunkte des Möglichen zwischen zwei Symbolen: Rad und Schnecke4.

  1. Vgl. dazu Lind, Karl, Über den Krummstab. Eine archäologische Skizze, Wien 1963, 3 (Zitat) – 10
  2. „Die Krümme. Damit habe ich dann die Gesellschaft, man kann sagen ‚an den Haken’ genommen“, Hiery, Oswald, Die Geburt des Hephaistos. Oswald Hiery im Gespräch mit Alfred Gulden, Katalog zur Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus, Saarbrücken, 4.12.2008 bis 4.1.2009, Saarbrücken 2008 28).
  3. Vgl. dazu auch: Alois Prediger, Der Bildhauer Oswald Hiery – Kunstpreisträger 1987, in: Unsere Heimat. Mitteilungsblatt des Landkreises Saarlouis für Kultur und Landschaft, hg. von der  Vereinigung für die Heimatkunde im Landkreis Saarlouis e. V., Saarlouis 1987, Heft 12 (1987), 121.
  4. Im Header der Webseite der Nikolaus-Groß-Schule findet sich zwar eine Abbildung des oberen Teils der Stele als Teil ihres Logos, aber ohne weiteren Hinweis auf deren Identität oder den Namen des Künstlers und das Werk auf der Seite selbst.