Der Aufsteiger

1982
Zwei Figuren, jede 165 cm x 63,5 cm x 56 cm; zwei Wandtafeln von Lukas Kramer
Aluminiumguss
Gesamtschule Rastbachtal, Weißenburger Straße 23, 66113 Saarbrücken

 

Das architektonische Umfeld der Rauminstallation Der Aufsteiger in der Gesamtschule Rastbachtal besteht aus einer großräumigen Erweiterung eines Durchgangsflurs, in den, seiten- und höhenversetzt, zwei Längsflure zu den Schulräumen führen. Verbunden sind diese Längsflure über 8 die gesamte Breite füllende Treppenstufen, senkrecht getaktet durch 4 Geländer. Das gesamte Ambiente ist beidseitig vollflächig befenstert und im großräumigen Treppenflur sind die Decken aluminiumfarben verspiegelt. Durch den Lichteinfall und die Deckenspiegelung wirkt der Großflur taghell.

Die gesamte Rauminstallation befindet sich in diesem taghellen Großflur auf versetzten Ebenen. Sie ist bestückt mit zwei naturalistisch figürlichen und formidentischen Aluminiumplastiken von Oswald Hiery. Eine davon steht bodenständig an der ersten Treppenstufe, die andere kopfüber und deckenständig an der Rückseite. Auf der Stirn- und der Rückseite, an den gegenüberliegenden und höhenversetzten Enden, an den Wänden des Großflurs, hängen sich zwei große Wandtafeln von Lukas Kramer seitenversetzt gegenüber1. Ihr helles grundtoniges Blau verstärkt stimmig die helle mattglänzende Aluminiumfarbigkeit der Figuren und des Ambientes. Sie bilden die Grenzen der gesamten Installation.

Die Werke beider Künstler ergänzen sich in der hellen Räumlichkeit zu einer farblich aufeinander abgestimmten Rauminstallation. Das gilt für die gestische Dynamik der Figuren, aber auch für die lebendige Ikonografie der Wandtafeln. Zur Vermittlung trägt neben der farblichen und dynamischen Korrespondenz der Werke selbst auch die aluminiumfarbige Deckenapplikation bei, die den gesamten Werkkomplex widerspiegelt.

Zur Realität des architektonischen Ambientes als Durchgangsflur passt die naturalistische Formgebung der beiden männlichen Figuren. Die bodenständige Figur besteigt gerade die Treppe, sie hat den rechten Fuß auf die erste Stufe gesetzt, die rechte Hand umfasst das Geländer. Ihr Gesicht ist nach rechts hinten gewendet, in Richtung seines formidentischen aber deckenständigen Ebenbildes2.

Die auf den Füßen stehende Figur ist größen- und formidentisch umgekehrt auch an der Decke istalliert, einschließlich des Geländers, das sie umfasst. Neben dieser materialen gibt es nioch eine optische Spiegelung, denn nicht nur die Treppenstufen, sondern auch die kopfüber hängende Figur  werden in der Aluminiumfolie gespiegelt. Für den Betrachter stellt sich die Rauminstallation als dreidimensionales Vexierbild dar (figürliche Realität, materiale Spiegelung, optische Spiegelung), mit dessen Entzifferung – zwischen real oder spiegelbildlich – er sowohl optisch als auch mental zunächst Mühe hat.

So steigt die umgekehrt gespiegelte Figur unter der Decke nicht reale, sondern gespiegelte Treppen hinauf – kopfunter – mit der Hand an einem Handlauf, der nach unten führt. Die Treppe aufwärts steigend steigt er herab. Diese Komplexität und Vielschichtigkeit der visuellen Logik korrespondiert mit der Doppeldeutigkeit des titelgebenden Begriffs ‚Aufsteiger’. Jemand, dessen Fuß auf der ersten Stufe einer Treppe steht, ist ein möglicher Aufsteiger. Aber für ihn und sein Spiegelbild mag gelten, was auch für den Karrieristen gilt: Beide bewegen sich auf semantisch undurchschaubarem Terrain3.

Das gesamte künstlerische Ambiente stellt sich dem Betrachter als Vexier dar, als ein puzzle und Geduldspiel aus realen und gespiegelten Elementen, das er sortieren, entwirren und sinnvoll zusammensetzen möchte. Schon alle Einzelelemente des Vexiers sind irritierend. So stellt die naturalistische Formgebung die bodenständige Figur in einem Alltagsambiente nicht vor, sondern in das Publikum. Sie bewegt sich ohne jede Sonderstellung inmitten des Publikumsverkehrs, inmitten von Schülern und Lehrern. Andererseits ist ihre formidentische Doppelung als Aufsteiger durch die Deckenstellung genau diesem Verkehr entzogen. Auch wirft die verspiegelte Decke das gesamte Ambiente, Figuren und Wandtafeln, noch einmal zurück, so dass der Betrachter seine Seheindrücke beständig sortieren muss.

In diesem Versuch, die irritierenden und widersprüchlichen Wahrnehmungen mental zu steuern, gleitet er unmerklich in die metaphorische Semantik dieser Plastik. Auf diese verweist die kopf- und deckenstehende Figur in ihrer Spiegelung. Sie steigt aufsteigend abwärts. Sie steigt, die Treppen hinaufsteigend, im Spiegelbild abwärts. Sie tut es spiegelbildlich im doppelten Wortsinn, als Spiegelung in der Decke aber auch im übertragenen Sinne, metaphorisch, mit Bezug zum Aufsteiger. Der Betrachter fühlt sich an M.C. Escher erinnert, denn die Wahrnehmung sieht sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, die einzelnen Elemente der Rauminstallation immer wieder anders zusammensetzen und deuten zu müssen. Letztendlich vermag der Betrachter zwischen Auf- und Abstieg ohne größere Anstrengung nicht mehr zu entscheiden.

Anschaulicher als Der Aufsteiger es tut, kann man Karriere als Lebensentwurf und die unbeabsichtigten Folgen dieses Entwurfs für eine Schule kaum zeigend beschreiben4.

  1. Zu Lukas Kramer siehe: http://institut-aktuelle-kunst.de/kuenstlerlexikon/kramer-lukas.
  2. Beide Figuren tragen die Physiognomie von Oskar Lafontaine aus dem Jahre 1982. Sie – und pars pro toto die gesamte Rauminstallation – heißen aus diesem Grunde im Sprachgebrauch der Schule Oskar. Das Jahr 1982 war das Jahr, in dem Oskar Lafontaine wegen seiner kritischen Haltung zum Nato-Doppelbeschluss in seiner eigenen Partei und ihrem damaligen Kanzler in die Kritik geriet. Es war auch das Jahr, in dem die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum endete. Unabhängig von der politischen Offenheit dieser Situation wurde Oskar Lafontaine mit der Rauminstallation Der Aufsteiger schon drei Jahre vor seiner Amtseinführung als Ministerpräsident des Saarlandes im Jahre 1985 „ein Denkmal gesetzt“, so Der Spiegel 9/ 29.2.1988, 216. Auch aus diesem Grunde kann man dieses künstlerische Werk zur „breiten Spur origineller Plastik“ zählen, die Oswald Hiery „durchs ganze Ländchen zog“, vgl. Wolfgang Koch, Saarbrücker Zeitung, 14.9.1994, Feuilleton 12.
  3. Vierundzwanzig Jahre später erinnert sich Oskar Lafontaine an eine Doppelung anderer Art anlässlich der Porträtbüste des ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten Röder von Oswald Hiery aus dem Jahre 1983: „Als der Bildhauer Oswald Hiery den Auftrag erhielt, eine Plastik des ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Röder herzustellen, machte er die Büste gleich zweimal und ließ den doppelten Ministerpräsidenten sich selbst auf die Schulter klopfen. Die Plastik entsprach nicht den Erwartungen der Auftraggeber und musste umgearbeitet werden. Mir aber gefiel sie außerordentlich. Ich hatte auch gleich einen Namen für das Porträt parat: ‚Der Memoirenschreiber’“, Oskar Lafontaine am 25.10.2006, Wir wollten etwas anderes, https://www.stern.de/politik/deutschland/oskar-lafontaine–wir-wollten-etwas-an-deres–3326600.html (abgerufen 20.8.2018)
  4. Mit dem Namen Oskar Lafontaine war im Jahre 1982 vorausschauend und ist heute rückschauend ein Beispiel gewählt, das sich zur Darstellung eines typischen Karrieremusters eignet. Dessen Karriere bewegt sich, aus biografischer Perspektive gesehen, zwischen seiner politischen Klugheit und seinem couragiertem Verhalten, zwischen parteipolitischen und strategischen Optionen, sozialen Zielperspektiven und persönlichen Anfeindungen auf einer Bahn, die von Mächten gesteuert wurde, die er zunehmend selbst nur sehr bedingt beeinflussen konnte. Insofern ist jede Karriere von einem gewissen Zeitpunkt an ein Selbstläufer, weil sie auf den, den sie betrifft, keinerlei Rücksichten nehmen kann.  Der Aufsteiger ist ein Schul-Beispielauch, auch hier im Doppelsinn, biografisch und institutionell.